Rathaus Goslar, Stadt Goslar
Umnutzung und Hüllensanierung im UNESCO-Welterbe
Bauherr: Goslarer Gebäudemanagement
Projektzeitraum: 2016-2022
Baukosten: ca. 12,26 Mio EUR
Status: UNESCO-Welterbe
Die ältesten Baustrukturen des Rathauses gehen auf umfangreiche Neubaumaßnahmen im 15. und 16. Jahrhundert zurück, wobei sich Reste der früheren Gebäudestrukturen in Teilen erhalten haben. Der Rathauskomplex in seiner jetzt aufgehenden Bausubstanz entstand in der Zeit der bergbaulichen Blüte von Goslar, in der die Stadt zudem Mitglied der Hanse war. Die wirtschaftliche Glanzzeit prägte auch die Marktfassade des im 15. Jahrhundert errichteten Ostflügels, die nicht durch einen repräsentativ gestalteten Eingang beherrscht wird, sondern von einer zweischiffigen Arkadenhalle, in der Handel stattfand. Dahinter lagen auf Ebene des Erdgeschosses kleinteilige Raumstrukturen von untergeordneter Nutzung. Die repräsentative Hauptfassade des Rathauses zeigt nach Süden, wo die Eingänge in alle wesentlichen Gebäudeteile liegen. 1560 wurde der Nordflügel ergänzt, der sich mit einer aufwändig gestalteten Fachwerkfassade und Krüppelwalmdach präsentiert.
Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Nordwestflügel angefügt. Dieser zeigt nach Norden und Westen schlicht gestaltete Fassaden aus Werksteinmauerwerk. Über dem über viele Jahrhunderte gewachsenen Baukörper erheben sich im Kern bauzeitliche Dachkonstruktionen von großer räumlicher Komplexität.
Über einen Zeitraum von rund 750 Jahren wurde das Historische Rathaus in Goslar immer wieder erweitert und umgebaut. In diesem hochkomplexen historischen Gefüge wurden drei Nutzungen untergebracht: Rat der Stadt, Welterbe-Infozentrum und Tourist-Information. Im Zuge der Baumaßnahme wurde das gesamte Gebäude grundlegend instandgesetzt und die städtebaulichen Beziehungen des Rathauses durch einen neuen Stadtraum gestärkt.
Gestaltungs- und Restaurierungskonzept
Durch zahlreiche An- und Umbauten bildet das Rathaus einen über viele Jahrhunderte gewachsenen und kompliziert ineinander verschachtelten Baukörper. Während der aktuellen Sanierung stellte sich heraus, dass wesentliche Teile des aufgehenden Baus auf das 13. Jahrhundert zurückgehen – 200 Jahre älter als bisher angenommen. Angesichts dieser komplexen architektonischen Struktur entwickelten die Architekt*innen ein stringentes Nutzungs- und Gestaltungskonzept, das die räumlichen, funktionalen und historischen Zusammenhänge ordnet. Jeder Raum ist ein Unikat und soll für sich wirken können. Jeder Raum ist auch ein Ausschnitt der ganzen Geschichte des Rathauses. Konzeptionelles Ziel ist es, die Baugeschichte des Rathauses durch die Summe der unterschiedlichen Räume und gezielt gesetzte Blickachsen erlebbar zu machen. Dafür sollen die Räume aufbauend auf der restauratorischen Bestandserfassung in der für sie jeweils prägenden Zeitschicht gestärkt werden.
Ein Rathaus, drei Nutzungen
Nach dem Umbau wird das Rathaus drei Nutzungen beherbergen, die passend zur historischen Funktion des Gebäudes allesamt der Repräsentation der Stadt dienen: In den weitläufigen Gewölben des Ratskellers wird ein Welterbe-Infozentrum eingerichtet. Im Erdgeschoss findet die Tourist-Information neue Räumlichkeiten. Die Repräsentationsräume im Obergeschoss mit ihren eindrucksvollen historischen Befunden können durch Besucher*innen besichtigt werden, dienen jedoch unter Bewahrung der jahrhundertealten Tradition zugleich dem Rat der Stadt Goslar für Sitzungen.
Die intensive Nutzung und komplexe Struktur des Gebäudes machte ein ausgeklügeltes Erschließungskonzept notwendig. Insbesondere die erheblichen Höhenunterschiede innerhalb der einzelnen Geschosse stellten eine Herausforderung dar. Im Zuge der Sanierung ist es jedoch gelungen, nahezu alle öffentlichen Räume barrierefrei zu erschließen.
Erster Schritt war eine städtebauliche Analyse, die zeigt, wie sich der Solitär in die zum UNESCO-Welterbe erhobene Altstadt Goslars mit ihrer Vielzahl an historischen Fachwerkbauten auf mittelalterlichem Stadtgrundriss einfügt. Das Rathaus findet sich am zentralen Marktplatz und ist von zwei stark frequentierten Fußgängerstraßen eingefasst, rückseitig liegt die Marktkirche. Das Gebäude ist durch drei repräsentative und doch jeweils sehr verschieden gestaltete Fassaden geprägt, die sich aus der gewachsenen Struktur des Baukörpers ergeben.
An der am aufwendigsten gestalteten Südfassade wurde der zentrale Hauptzugang angeordnet, der alle Räume zur öffentlichen Nutzung erschließt, inklusive der architektonischen Höhepunkte Marienkapelle, Ratsdiele, Huldigungsaal und Ratskeller. Der Stadtrat erhält einen eigenen Eingang im Nordflügel, um einen gesonderten Zugang zu den Räumen mit städtischer Nutzung zu ermöglichen.
Eingangsfoyer und Lichthof
Im Inneren spiegelt sich die zentrale Zugangssituation im Eingangsfoyer und im gläsern überdachten Lichthof wieder – zwei Räume, die erst im Rahmen der Baumaßnahme (wieder) freigelegt und nun in ihrer architektonischen Qualität offenbar werden. Die Enge der mittelalterlichen Räumlichkeiten, die in den letzten Jahrzehnten durch Abhangdecken und Einbauten stark verbaut waren, wird in einer offenen, hellen Eingangssituation aufgelöst. Der freigestellte Lichthof ist durch ein Wechselspiel von historischen und neuen, zeitgenössisch gestalteten Architekturelementen bestimmt. Im Bestand ist er durch die runde Form der Apsis der Marienkapelle geprägt. Die Haptik des Bruchsteinmauerwerks der Wände, auf die nur eine dünne Schlämme aufgetragen ist, erinnert an seine ehemalige Lage im Außenraum. Kontrastierend dazu erhält der Lichthof einen großflächig verglasten Aufzug und im Obergeschoss einen Steg als leichte Stahlkonstruktion mit mattiertem Glasbelag, der Ratsdiele und Huldigungssaal verbindet. Die Verteilerfunktion des Raumes wird gestalterisch aufgenommen. Aufzug und Steg ermöglichen es, den Raum aus neuen, bewegten Perspektiven zu erleben. Akzentuiert gesetzte Blickachsen bieten zudem Einblick in verschiedene Raumbereiche, wie Marienkapelle und Ratsdiele. Hierbei werden besondere architektonische Details, wie die Madonna in der Apsis der Marienkapelle, in Szene gesetzt und so die Neugier geweckt, das Rathaus in einem Rundgang zu erkunden. Zudem wird durch die verschiedenen Durchblicke die architektonische und historische Komplexität der baulichen Struktur offenbar.
Unterirdisches Foyer und Ratskeller
In den weitläufigen Gewölben des Ratskellers wurde die Ausstellung des Welterbe-Infozentrums eingerichtet. Dieses erhält ein neues, unterirdisches Ausgangsfoyer als Verteiler zu den sanitären Anlagen sowie zum darüber liegenden Atrium. Auch hier wurde der Kontrast zwischen historischen Architekturelementen und moderner Gestaltung herausgearbeitet. Während der Sanierung wurde ein mittelalterliches Brunnenfragment entdeckt, das unmittelbar in die streng-elegante Raumgestaltung integriert wurde. Zudem werden Einblicke in den Beinkeller unter der Marienkapelle und ins Welterbe-Info-Zentrum geboten. Eine direkte Verbindung zum gelebten Welterbe wird durch den gerahmten Ausblick auf den Turm der Marktkirche geschaffen, wenn die Besucher*innen vom unterirdischen Foyer die Treppe zum Atrium hinaufgehen.
Ein neuer Stadtraum: Das Atrium
Die Westseite des Rathauses, in Richtung der benachbarten Marktkirche, kam bisher einer wenig beachteten Rückseite gleich. Ein neues Atrium schafft hier nun einen verglasten Hofbereich und wertet den ehemals unattraktiven Hinterhof als neu konzipierten Stadtraum deutlich auf. Hierdurch werden die städtebaulichen Beziehungen zwischen Rathaus, Marktkirche und Schuhhof signifikant gestärkt. Zudem erhält das Rathaus, das als Solitär mit sehr verschiedenen Fassaden unterschiedlicher Bauphasen in das Stadtgefüge eingebunden ist, in Richtung Westen ein neues, zeitgenössisches Gesicht.
Eine leicht abgerundete, filigrane Stahlkonstruktion mit großen Glaselementen bildet einen luftigen Raum. In dessen Mitte befindet sich ein skulptural inszeniertes Treppenobjekt, das dem Welterbe-Infozentrum im Untergeschoss als Ausgang dient. Die mundlochartige Form des Treppenobjekts, wie auch dessen Bekleidung mit Cortenstahl, wecken Assoziationen zum Bergbau, dem Goslar seine mittelalterliche Blüte verdankte. Zudem wird ein Materialkontrast zur teils schieferverkleideten Rathausfassade aufgespannt. Nun bietet der Hof Aufenthaltsqualität zwischen Innen- und Außenraum und lädt so ein, einen Moment im Dazwischen zu verweilen.
- Objektplanung
- Bestandserfassung
- Denkmalgerechte Hüllensanierung
- Neuorganisation der Grundrisse unter Erhalt der Historischen Raumstruktur
- Freistellung des inneren Lichthofes
- Unterkellerung des Hofes für Technikräume und Erschließung
- Sanierung mittelalterlicher Holzkonstruktionen
- Restaurierung Historischer Wandfassungen
- Erneuerung der gesamten Gebäudetechnik
- Neubau eines gläsernen Atriums im Hof
- Neuordnung der Vertikalerschließung und Barrierefreiheit